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25 Der Gehstock

Aktualisiert: 10. Mai 2023

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„Sie haben es gefunden?“

Plötzlich bin ich hellwach.

„Es war nicht einfach und es hat mich zu dem Gefallen auch noch einen ganzen Stapel Kopien von Zaubern gekostet, nichts gefährliches, aber immerhin.“

„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, habe ich deshalb...“

Ich deute auf das Bett.

Die Audiatorin nickt.

„Scheinbar hatte Ihr Körper viel Schlaf nachzuholen, deshalb sollten Sie achten sich nicht zu übernehmen, Ihre Muskeln werden wohl etwas an Substanz verloren haben. Dafür“, sie deutet auf mein Bein, „sollte der Heilungsprozess bald abgeschlossen sein. Im Schlaf heilen unsere Wunden am allerbesten, egal ob äußerlich oder innerlich.“

Ich nicke der Professorin nur zu, während ich mein Bein mustere, das immer noch in Bandagen gewickelt ist.

„Und jetzt kommen Sie, ich hab mir da etwas ganz besonders für Sie einfallen lassen, hinsichtlich Ihrer momentan eher schlechten Verfassung zu Fuß.“

Langsam setze ich meine Beine auf den Boden und versuche etwas Gewicht auf sie zu lasten. Sofort merke ich, wie sie mich nur mit knapper Not tragen können.

„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen sehr weit folgen kann, Frau Professor.“

„Etwas Training wird Ihnen gut tun, Herr Kant. Kommen Sie einfach zu mir hinüber und machen Sie es sich auf der Sitzgruppe bequem, während ich etwas für Sie hole.“

Langsam trete ich Schritt für Schritt in den Wohnbereich der Audiatorin hinüber, der von einer Galerie umrahmt wird. In der Mitte steht die Sitzgruppe, auf die ich mich, fast wie ein Ertrinkender, hinrette.

Schließlich bemerke ich die Professorin in einem Zimmer im Obergeschoss und wie sie langsam über die Treppe wieder zu mir nach unten gelangt.

„Voilà, was sagen Sie dazu?“

Ich drehe mich zu ihr und sie hält mir einen langen Gegenstand entgegen.

„Ein Krückstock?“

Leya Kor schüttelt vehement den Kopf.

„Ein Spazierstock, oder Gehstock, wenn Sie so wollen. Und Ihr neuer treuer Begleiter im Kampf gegen Ihre inneren Stimmen und das Böse.“

Sie drückt mir den Stock in die Hand, dessen Griff aus zwei sich überspringenden Delphinen besteht.

„Wie soll der...“

„Ich habe mir erlaubt einen Platz für das Artefakt für Sie in das Stück integrieren zu lassen. Sie können den Griff abschrauben und darin lässt sich der kleine Stein optimal vor neugierigen Augen verstecken.“

„Vielen Dank, Frau Professor, ich weiß gar nicht, wie ich mich jemals dafür revanchieren kann.“

„Nutzen Sie ihn und schnappen Sie diesen Dämon Herr Kant, ohne ihre Hilfe haben wir keine Chance.“

„Im Moment sind uns wohl ohnehin keine Möglichkeiten gegeben, wir können nur abwarten.“

Die Professorin, die auf dem kleinen Beistelltisch zwei Tassen Tee für uns vorbereitet wippt mit dem Kopf.

Ich runzle die Stirn.

„Oder nicht?“

„Eventuell gäbe es da etwas...“

„Warum haben Sie das vorhin nicht erwähnt?“

„Weil weder Herr Barres noch Herr Polymeropulos wirklich über Ihren Zustand Bescheid wissen, Herr Kant.“

Die Audiatorin setzt sich zu mir und stellt mir eine Tasse hin.

„Über meinen Zustand? Ich habe Sean von meinen Schlafproblemen erzählt.“

„Und das ist die Wahrheit? Ein Schlafproblem? Wenn es nur ein Schlafproblem wäre, hätte ich wohl kaum in der gesamten Galaxis nach diesem Artefakt suchen lassen.“

„Sie sprechen von den ‚Vocem Noctis‘.“

Leya Kor nickt.

„Ich habe meine Recherchen natürlich weitergeführt, ein so starker Fall, wie der Ihre, ist wohl außerordentlich selten und praktisch nicht dokumentiert.“

„Wenn Sie mich mit diesen Worten aufbauen wollen, dann muss ich Sie wohl enttäuschen, Frau Professor.“

„Aber“, die Audiatorin hebt den Zeigefinger, „ich konnte ähnliche Fälle, wenngleich auch weitaus weniger stark ausgeprägt, nachschlagen und es ist ganz erstaunlich, das sage ich Ihnen.“

Ich bin ganz Ohr.

„Die ‚Vocem Noctis‘ die Sie vom Schlafen abhalten, das könnten Stimmen aus anderen Welten sein. Es gibt dazu natürlich kaum Forschung, aber es gibt Beschreibungen in unseren Bibliotheken und Datenbanken die von ähnlichen Fähigkeiten berichten, die bei manchen Personen einfach so auftauchen, aber auch genauso schnell wieder verschwinden können.“

„Beim Verschwinden wäre ich dabei.“

„Natürlich, das könnte Ihnen auch niemand verübeln, allerdings sollen die ‚Vocem Noctis‘ demjenigen der sie hören kann, unvorstellbare Mächte verleihen.“

Ich blicke an mir hinab.

„Entschuldigen Sie meine Direktheit, aber ich komme mir nicht gerade mächtiger vor, seit ich die Stimmen höre und kaum mehr ein Auge zubekomme.“

Die Audiatorin nickt und nimmt einen Schluck von dem Tee.

„Ja, ich denke es benötigt, wie eine jede Fertigkeit, viel Übung, Ausdauer und nicht zuletzt Ehrgeiz, auch wenn Ihr Talent diesbezüglich angeboren sein muss.“

„Aber wenn diese Fähigkeit so selten ist, wer könnte mich dann darin unterweisen?“

„Wir haben an der Akademie nicht die Möglichkeit Sie darin weiter auszubilden, da haben Sie vollkommen recht, aber wie Warin Walaux dereinst vor uns, sollten auch wir nach den Sternen greifen, um unser Ziel zu erreichen.“

„Von welchen Mächten sprechen wir überhaupt? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das möchte, verzeihen Sie, Frau Professor.“

„Nun, wie schon gesagt, liegt sehr viel davon im Unklaren, aber es sollte Ihnen möglich sein, mithilfe der Stimmen, die gesamte Welt, ähnlich wie während Ihres Fährtenlesens, nur weitaus umfassender, von einer anderen Perspektive betrachten zu können. Was uns wiederum zu unserem Dämon führen könnte.“

Die Audiatorin blickt mich durchdringend an.

„Sie wollen, dass ich die Stimmen wieder in meinen Kopf lasse, um den Dämon zu finden? Das ist die Alternative?“

Die Professorin nickt langsam.

„Ein Versuch wäre es wert, denke Sie nicht? Aber es liegt natürlich ganz bei Ihnen, wir anderen können Sie weder dazu ermutigen noch davon abhalten. Es soll für Sie reichen, nur zu wissen, dass Sie es womöglich vollbringen könnten.“

„Also bin ich eine Art Seher?“

Leya Kor zuckt mit den Schultern.

„Wenn Sie unbedingt einen Titel brauchen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie die ‚Vocem Noctis‘ in wachem Zustand nutzen können.“

Ich kneife die Augen zusammen.

„Also ‚Sleepman‘ wenn ich ein Superheld wäre, hört sich ja nicht besonders berauschend an, eher wie ein fader Streifen, der nicht mal in einem Kino ausgestrahlt wird.“

Die Professorin blickt mich mit schmalen Augen an.

„Ja, dieser Film hört sich eher schwächer an. Aber derweilen sollten Sie Ihre Fähigkeiten unter geschützten Bedingungen wohl erst einmal testen.“

„Und das können wir hier machen?“

„Wenn jemand für Ihren Schutz sorgen kann, wer wenn nicht ich? Vorausgesetzt Sie fühlen sich dazu in der Lage.“

”Ich habe zwei Wochen geschlafen, ich denke ich hatte genug Ruhe.”

Ich nehme einen Schluck Tee.

Au.

Verbrannt.

Das gibt‘s ja nicht.

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