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6 Der Vorsitzende des Kuratoriums

Aktualisiert: 10. Mai 2023

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„Wissen Sie was ich mich oft frage?“

Mein Blick bleibt auf den wunderbaren Ausblick aus dem Lift gerichtet, der uns durch die Stadt blicken lässt, während ich den Kopf schüttle.

„Was wenn die Häuser nicht wären? Wie würde sich Falano dann entwickeln?“

Ich wippe nur mit dem Kopf.

„Schwierige Frage. Falano wurde halt nun mal von den Häusern gegründet und letztlich wurden ja auch ein Parlament und ein Senat integriert, ganz nach dem Vorbild großer demokratischer Nationen.“

„Und trotzdem werden die drei Spitzenämter nach wie vor nur von den Häusern besetzt.“

„Natürlich, das ist nicht unbedenklich, wir werden nicht ohne jeden Grund diesbezüglich oft an den Pranger gestellt, besonders auf der Erde.“

„Und deshalb frage ich mich, könnte man es denn besser machen?“

„Och, davon bin ich überzeugt, ohne jeden Zweifel sogar. Aber wer sollte diese Veränderung herbeiführen? Und nicht zuletzt sollte man sich die Frage stellen, ob es denn in einem angemessenen Verhältnis zu dem Risiko steht, dem man sich bei verfassungsmäßigen Veränderungen immer aussetzt.“

„Wahrscheinlich haben Sie recht.“

„Wir haben keinen Krieg hier und leben in großem Wohlstand, vielleicht nehmen wir es deshalb hin.“

„Ja, vielleicht.“

Schließlich verlangsamt sich der Lift, bis wir letztlich halten.

„Oberste Plattform: Gemächer des Vorsitzenden“, erklärt uns die Stimme im Aufzug.

„Dann sind wir wohl richtig.“

Wir steigen aus und finden uns in einem großteils vergoldeten Foyer wieder in dem uns eine Dame von ihrem Pult aus herüberwinkt.

„Was kann ich für die Herrschaften tun?“

„Inspektor Kant und mein Kollege Inspektor Barres, von der Ordnungswache. Wir ermitteln in einem Mordfall und würden diesbezüglich gerne mit dem Vorsitzenden Thorsson sprechen, ist er hier?“

„Natürlich werde ich Sie sofort anmelden, Herr Thorsson ist allerdings gerade in einem Meeting.“

„Es wäre wirklich dringend.“

Die Dame nickt und beginnt auf ihr Terminal zu tippen.

Ich blicke mich derweilen um und beginne mit einigen Skizzen, aber zumindest dieses Foyer erscheint mir recht unspektakulär zu sein, allerdings ist es im öffentlichen Raum meistens schwieriger Konkretes festzustellen. Da sind einfach zu viele Echos von zu vielen verschiedenen Leuten.

„Der Herr Vorsitzende hat sein Meeting für die Herren unterbrochen, bitte gehen Sie gerne hinein.“

Mit einem mal öffnet sich voll automatisch die große Tür am Ende des Raumes und wir treten hindurch. Ein kurzer Gang führt uns um eine Säule herum und wir finden uns in einem großen Büro wieder. Breite Fenster geben einen atemberaubenden Ausblick durch die Stadt frei und die prunkvolle Einrichtung rundet das Gesamterlebnis eines Aradan wirklich stilecht ab.

Hinter einem massiven Schreibtisch erhebt sich ein Mann in goldenen Roben.

„Willkommen, darf ich den Herren einen Platz anbieten?“

Er deutet auf eine niedrige Sitzgruppe, die sich direkt vor einem der breiten Fenster befindet.

„Danke, Herr Thorsson, sehr gerne. Das ist mein Kollege Herr Kant.“

„Und Herr Barres.“

„Natürlich, meine Sekretärin hat schon durchklingen lassen, dass Sie beide von der Ordnungswache hier sind. Und ich hab wohl auch schon einen Verdacht weswegen Sie zu mir gekommen sind.“

Wir lassen uns auf zwei weiche Stühle nieder und warten auf den Kurator, der sich schließlich auch zu uns setzt.

„Was ist denn Ihr Verdacht?“

Beginne ich.

„Stört es Sie, wenn ich einige Notizen mache?“

Der Vorsitzende schüttelt sofort den Kopf.

„Machen Sie nur. Wenn mich nicht alles täuscht, dann geht es wohl um den tragischen Verlust den Herr Kohling gerade durchmachen muss. Wie mir zu Ohren gekommen ist, ist Sarah tot, nicht wahr?“

„Sie sind gut informiert“, fährt Barres fort, „Kohling meinte es gäbe womöglich Neider um seinen Stuhl im Kuratorium?“

„Nun Neider gibt es wohl genug, der Platz im Kuratorium ist ja auch auf Lebenszeit. Trotzdem würde wohl keiner meiner Leute soweit gehen, jemanden aufgrund dessen zu ermorden. Und Kohling sitzt ja nach wie vor im Gremium, meines Wissens hat er ja keine Drohung oder einen Brief von einem Erpresser bekommen. Sollte es also um einen Platz im Kuratorium gehen, dann war das wohl ein äußerst schwacher Versuch und ich halte meine Leute nicht für so dumm, eine Geisel zu töten, ohne vorher noch eine Forderung zu stellen. Das würde auch von der Logik her ganz am Ziel vorbeigehen.“

„Kannten Sie Sarah persönlich?“

„Eigentlich nicht, ich kenne sie bloß von der Eröffnung ihrer Galerie im Voilé Center. Aber wir haben selbst dort vielleicht drei Sätze miteinander gewechselt, wenn es hoch her kommt. Von ‚kennen‘ kann also nicht wirklich die Rede sein.“

„Und wie steht es um Ihre Beziehung zu Herrn Kohling?“

„Ein wichtiger Kollege und auch guter Freund meinerseits. Ohne seine Unterstützung wäre ich wohl heute nicht hier.“

Der Kurator deutet um sich durch das Zimmer.

„Er hat Ihnen zum Vorsitz verholfen?“

„Der Vorsitz im Kuratorium ist ja, anders als bei dem Kartellpräsidenten der Galari beispielsweise, nicht auf Lebenszeit gewählt. Also ist es für mich unabdinglich, dass ich Verbündete im Kuratorium habe, denn ohne ihre Stimmen kann ich meinen Platz hier nicht verteidigen. So ist das mit der Demokratie, ein ewiger Kampf.“

Der Vorsitzende lacht und ich merke, während ich in meine Skizzen vertieft bin, dass Barres unhörbar mit den Zähnen knirscht. Wohl eher „Aristokratie“.

Ein letzter Strich und ich nicke Sean kurz zu, dass wir uns zum nächsten Raum aufmachen können.

„Herr Thorsson, dürften wir uns wohl in den Gemächern des Kuratoriums etwas umsehen?“

„Im Sitzungssaal? Was gedenken Sie denn dort zu finden?“

Barres, lassen Sie mich jetzt nicht im Stich.

„Womöglich kann uns die Sitzordnung weitere Einblicke in mögliche Spannungen unter den Kuratoren liefern. Natürlich können wir aber auch einen Befehl beim Minister anfordern und zu einem späteren Zeitpunkt wiederkommen.“

„Das wird wohl nicht nötig sein, ich werde Sie natürlich hinunterführen.“

Gut gepokert, Sean.

Damit kehren wir zum Aufzug zurück und fahren ein Stockwerk nach unten. Der Sitzungssaal wird ebenfalls über ein Foyer erreicht, zusammen mit dem Vorsitzend natürlich ganz rasch und einfach zu durchqueren. Wir passieren die Tür und treten in den langgezogenen Sitzungssaal hinüber.

„Hier wären wir, die Plätze sind zusätzlich mit Namensschildern versehen, Sie sehen also, der Stuhl am Kopf des Tisches ist meiner und direkt neben mir finden Sie den von Herrn Kohling. Wie ich schon sagte, sind wir auch gut befreundet.“

Ich beginne wieder mit meinen Zeichnungen, während Barres versucht legitime Fragen zu finden.

„Wie laufen Abstimmungen hier üblicherweise ab? Kann es womöglich sein, dass ein Ausstieg von Herrn Kohling Ihr Amt in Gefahr bringt?“

Der Vorsitzende schüttelt sofort den Kopf.

„Ich würde es ja gerne bedauernd verneinen, aber natürlich erfüllt es mich mit großem Stolz, dass eine Stimme weniger meinen Vorsitz nicht verhindern könnte und die nächste Wahl ist auch in einigen Jahren erst.“

„Und wie wurde die Nachricht von den übrigen Kuratoren verarbeitet, dass das Unternehmen von Herrn Kohling den gesamten Auftrag der Stadt für den Personenverkehr bekommen hat?“

„Es ist wohl kein Geheimnis, dass nicht ein jeder von uns ihn so übermäßig dazu beglückwünschte, aber im Wesentlichen dient sein Ruhm und Wohlstand uns allen. Wie ich schon sagte, es mag Neider geben, die gibt es immer, aber die Bereitschaft für einen Mord zu haben, das ist etwas ganz anderes.“

„Kam es zu Auseinandersetzungen? Hier drinnen möglicherweise sogar?“

Thorsson zuckt mit den Schultern.

„Kleinere Hacheleien, natürlich, aber nichts was sich nicht mit einem Glas Champagner wieder hätte schlichten lassen. Böses Blut gab und gibt es nicht zwischen uns, das ist eine Kultur, eine Lebensweise, die muss man teilen, sonst kommt man überhaupt nicht so weit. Zumindest nicht bei uns Aradan.“

Zum Glück nehmen Aradan auch kaum jemand anderen wahr, als sich selbst. Ich vollende das letzte Detail und stecke mein Buch zurück in meine Tasche.

„Meinen Sie etwas Konkretes damit?“

Der goldene Mann blickt zu mir herüber.

„Nichts Konkretes, nein. Aber es ist wohl gemeinhin bekannt, dass besonders unter den heißblütigen Galari oft und gerne Rangeleien ausgetragen werden. Womöglich hat Kohlings Erfolg einen Galari verärgert, denen würde ich es auch zutrauen eine Geisel ohne Forderungen zu töten. Ja, ich denke das würde genau in ihr Bild passen, ohne ihnen etwas unterstellen zu wollen.“

„Wir bedanken uns für dieses aufschlussreiche Gespräch Herr Vorsitzender.“

„Sehr gerne, wenn Sie weiter noch etwas benötigen, melden Sie das einfach bei meiner Sekretärin, ich stehe unserer Ordnungswache sicher nie im Weg. Allerdings wäre es für mich vorteilhafter Sie würden sich vorher kurz anmelden, mein Terminkalender lässt nicht viel Raum für Spontanität und Meetings im Vorhinein abzusagen ist immer noch verträglicher, als sie mittendrunter abzubrechen.“

„Wir werden das beim nächsten Mal versuchen zu berücksichtigen. Auf Wiedersehen Herr Thorsson.“

Damit kehren wir zum Aufzug zurück.

„Und haben Sie was Interessantes gefunden?“

Ich runzle die Stirn.

„Ich weiß nicht so recht, um ehrlich zu sein. Es wäre wohl das Beste, erst einmal darüber nachzudenken, vielleicht klärt sich meine Sicht bis morgen Früh ja etwas auf.“

„Aber versuchen Sie auch etwas zu schlafen, müde werden Sie uns morgen von keinem großen Nutzen sein.“

„Ach Barres, Sie wissen doch, ich schlafe praktisch nie.“

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