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26.2 Traumwandeln

Aktualisiert: 10. Mai 2023

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„Komm schon, Kant. Schaffst du das etwa nicht?“

Die ganze Klasse um mich herum starrt mich mit großen Augen an.

Ich trete näher an den Tisch vor mir heran und mustere die kleine Maus, die in einem viel zu kleinen Glasgefäß sitzt und, durch nichts geschützt, wie wild an dem Glas kratzt, unfähig jemals seiner Zelle aus eigener Kraft zu entkommen.

„Du musst nur das Wasser hineingeben, sie wird dann an die Oberfläche treiben und kann entkommen.“

Ich nicke, nehme die Karaffe und beginne das Wasser hineinzugießen. Zuerst flitzt die Maus noch wilder durch das Behältnis und schließlich erreicht der Wasserstand den Kopf des Tieres. Ich fülle weiter Wasser ein, bis die Maus gänzlich von der Flüssigkeit überdeckt wird. Sie macht keine Anstalten zu schwimmen.

Ich blicke erschrocken in die Runde meiner Kollegen, aber keiner ist mehr hier.

Sofort greife ich nach dem Gefäß, um das Wasser auszuleeren, ich beobachte den Kampf der Maus, um ihr nacktes Überleben.

Ich packe den Glasbehälter, aber er lässt sich nicht bewegen, jetzt schlage ich wie wild gegen ihn, meine Hände schmerzen, aber ich hämmere immer weiter darauf ein.

Ein Lachen umgibt mich, ein Lachen wie aus tausend verdurstender Kehlen. Ein Geräusch, das mir das Blut in den Adern stocken lassen will.

„Was ist, Naldor? Schaffst du es nicht einmal dieses kleine unschuldige Wesen vor dem Ertrinken zu bewahren? Wie willst du dann dich oder gar einen deiner sündigen Freunde retten?“

Ich presse meine Hände gegen meine Ohren, während sich mir der Magen zusammenzieht.

„Du bist ein Heuchler, mehr nicht. ‚Ein Dasein, nur um zu dienen‘ du selbstloser Narr, dass ich nicht lache. Auch du wirst eines Tages sterben und in den Winden der ewigen Zeitenmühlen einfach verblassen. Warum gibst du dir Mühe? Hör auf zu kämpfen.“

Ich sinke auf meine Knie hinunter und kneife die Augen zusammen, nicht ohne einige Tränen auf den Boden zu vergießen.

„Weißt du noch, Kalaidos?“

Mein Rachen beginnt zu brennen, während sich ein Kloß in meinem Hals zu bilden beginnt und mir ein einzelnes gekrächztes Wort entkommt.

„Kalaidos...“

„Auch ihn hast du im Stich gelassen, aber das ist ja nichts Neues, oder? Das ist das was du mit allen machst. Am Ende des Tages machst du die Welt nicht besser mit deiner Anwesenheit. Also frage ich dich, warum weitermachen? Beende es.“

Ich sinke nun gänzlich zusammen und halte meine Knie fest an meinen Körper gepresst. Plötzlich durchbricht eine vertraute Stimme den finsteren gegenstandslosen Raum.

„Herr Kant? Können Sie mich hören?“

Ich blicke auf und versuche den Ursprung der Stimme in der Dunkelheit zu finden.

„Herr Kant, versuchen Sie meinen Worten zu folgen. Ich bin’s, Leya, und ich bin in ihrem Traum, um Sie zu unterstützen den Dämon zu finden. Erinnern Sie sich? Sie sind an keinem realen Ort, das ist Ihr Geist, Herr Kant.“

Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und richte mich weiter auf.

Sie hat recht, das kann überhaupt nicht real sein. Das passt alles nicht zusammen.

„Ich kann Sie hören Frau Professor. Können Sie mich auch hören?“

Eine kurze Pause.

„Klar und deutlich, Herr Kant. Wir haben Ihnen ein Schlafmittel verabreicht, wenn Sie sich erinnern, damit sollten Sie in der Lage sein zunächst etwas Zeit in Ihrem Traum verbringen zu können, während Sie ihn nach Ihren Wünschen beugen. Sie haben jetzt die volle Kontrolle über ihn.“

Eine weite Wiese tut sich plötzlich vor mir auf und mündet in einen klaren Bergsee, der von Tannenwäldern und weißen Bergen umrahmt wird.

„Es ist wunderschön.“

„Herr Kant, ich muss Sie bitten sich weiter zu konzentrieren, ich kann mir vorstellen, dass Ihnen das jetzt schwer fallen mag, aber es ist von größter Wichtigkeit!“

Mein Blick bleibt weiter auf den wunderbaren Ausblick gerichtet, während ich der Stimme der Professorin antworte.

„Wie kann ich die Spur zu ihm aufdecken?“

„Fragen Sie die Vocem Noctis. Sie sollten in der Lage sein, Sie zu ihm zu führen.“

Ich konzentriere mich auf weitere Stimmen und langsam verblasst das atemberaubende Panorama um mich herum und weicht einer Szene eines Hinterhofs einer Spelunke in den Randbezirken. Ein Mann torkelt aus dem Etablissement und kommt vor mir zum stehen.

Plötzlich dringt ein Flüstern, wie aus dutzenden Mündern an meine Ohren heran.

„Er ist ganz nah...“

Ich blicke den Mann durchdringend an.

„Er?“

„Du kannst ihm nicht entkommen. Er kontrolliert dich und deine Träume.“

Ein tiefes Gurgeln und Beben beginnt unter mir seinen Anfang zu nehmen, während um mich die Erde zerbricht.

„Herr Kant?“

„Frau Professor!“

„Was ist da bei Ihnen los?“

Plötzlich ist alles um mich herum schwarz, ich habe keine Kontrolle mehr über das was ich sehe. Dann beginnt ein oranger Knopf vor mir auf Hüfthöhe zu leuchten. Ich trete an ihn heran. „Push“.

Und während ich meine Hand dem Knopf nähere, dämmert mir bereits das Schlimmste.

Mit einem Mal beginnen zwölf Lichtquellen um mich herum grässliche Kreaturen mit fürchterlichen Fratzen zu erhellen. Ich zucke zusammen.

Die Kreaturen beginnen in einer grässlichen Art zu lachen und lassen mir keinen Platz, mich aus ihrem Kreis befreien zu können.

„Herr Kant? Können Sie mich noch hören?“

Ich bringe kein Wort hervor.

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